“EXCUSE ME? ARE YOU GUYS THE AURORA HUNTERS?”

Ich antwortete mit „Yes! Did you see my post on Facebook?“. Da stand ich also auf der Eisenbahnbrücke, fünf Gehminuten von meinem Wohnheimzimmer in Turku entfernt – mal wieder. Die Studentenstadt Turku im absoluten Süden Finnlands ist nicht gerade bekannt für die Wahrscheinlichkeit, Nordlichter zu sehen. Ich hatte allerdings seit Beginn der ersten stärkeren Aktivitäten die Hoffnung nie aufgegeben, auch gemütlich von hier aus die Aurora zu fotografieren oder sogar mit dem bloßen Auge zu sehen. Zum fünften Mal stehe ich hier stundenlang in der Kälte auf der Brücke, der Sucht nach der tanzenden grünen Lady verfallen und absolut erpicht darauf, dieses Schauspiel mit so vielen Leuten wie möglich zu teilen. Also verfasste ich einen kurzen Beitrag in einer Erasmus-Facebook-Gruppe, in welcher bereits ein Zeitraffer von einer vorigen Beobachtung auf der Brücke Aufsehen erregt hatte – und tatsächlich trauten sich ein paar Leute raus in die eiskalte Nacht. Die Show war nicht allzu spektakulär, allerdings hing für fünf Minuten ein grüner Strudel tanzend am Himmel, welches für einige der Beobachter um mich herum die erste Begegnung mit der Aurora war. Auch für mich nach wie vor ein immer wieder atemberaubendes Schauspiel.

RENTIERE UND DIE GRÜNE LADY

Meine eigentliche Jagd nach Polarlichtern fand allerdings Ende Oktober statt. Mit zwei Freunden machte ich mich für acht Tage auf den Weg nach Lappland und im weiteren Verlauf auf die Insel Senja an der Westküste Norwegens. Ich möchte mich an dieser Stelle kurz fassen, da wir die ersten fünf Tage leider nur von Regenwetter heimgesucht wurden. Allerdings hatten wir das Glück, gleich am Tag der Anreise in Lappland einem weißen, prächtigen Rentier zu begegnen. Nach einer kurzen, vorsichtigen und rücksichtsvollen Foto-Session setzten wir unsere Fahrt weiter über die Grenze fort.

Wie bereits erwähnt, spielte das Wetter nicht auf unserer Seite. Wir verbrachten drei Nächte in unserer Unterkunft, fuhren tagsüber immer wieder raus um unser Glück zu versuchen, jedoch gleichzeitig um immer wieder von Regen überrascht zu werden, nachts hingegen lugten wir immer wieder aus dem Fenster und checkten Aurora-Webcams – die Show war im vollen Gange, nur spielte das Wetter auch nachts nicht mit. Am letzten Tag auf der Insel setzten wir allerdings alles auf eine Karte. Wir entschieden uns dazu, den Tag weiterhin auf der Insel zu verbringen, keine Unterkunft zu buchen und das beste für die Nacht zu hoffen. Unser Wetterexperte Jonas Piontek prognostizierte uns für die kommende Nacht einen klaren Himmel und hohe Polarlicht-Aktivität – KP 5 kategorisiert. Wir waren so langsam skeptisch, wollten die Chance allerdings nicht einfach so verpassen. Nach einer kurzen Nachmittagswanderung entschieden wir uns noch ein paar Snacks für die eiskalte Nacht einzukaufen und ließen uns vorübergehend in der Lounge eines Motels nieder, wo wir Kaffee tranken. Gegen 18:30, ich saß schon die ganze Zeit auf heißen Kohlen, ging ich erneut vor die Tür um durch die grellen Laternen etwas erkennen zu können. Und da war es – der erste grüne Schleier im letzten Licht der Abenddämmerung und das direkt über mir. Ich rannte so schnell ich konnte die glatte Rollstuhl-Rampe zum Motel rauf und legte mich beinahe ab. Mit einem Grinsen, wie damals, als ich meine erste Spielekonsole bekam, sagte ich nur „Los geht’s!“. Alle wussten sofort Bescheid und Glücksgefühle machten sich breit. Wir verabschiedeten uns überfreundlich bei den netten Gastgebern und stürmten hüpfend und wild brabbelnd aufs Auto zu. 

Wir entschieden uns dazu, nach Bergsbotn zu fahren, ein sagenhafter Ort in einem Fjord in Senja. Wir waren alle geladen vor Emotionen, die einfach den Hals hochkrochen und uns dazu brachten, wirres Zeug zu rufen und blöd durch die Gegend zu grinsen. Die Bilder, die wir machten, wurden schon fast nebensächlich beim Anblick einer solchen Schönheit. Und als wir dachten, es könnte nicht noch genialer werden, befanden wir uns in Zenit-Stellung mit einem plötzlichen KP 7 – eine unglaublich starke Polarlicht-Aktivität direkt über unseren Köpfen. Es war ein unglaublicher Tanz, der über mehrere Minuten anhielt. Die charakteristischen „Strahlen“ schossen über den Himmel wie Domino-Steine und kreierten Mandala ähnliche Gebilde.